Bodylotions, Lippenstifte oder Parfums: Jährlich landen Millionen unverkaufter Hygiene- und Kosmetikartikel im Müll. Die meisten werden verbrannt.
Letztes Jahr machte das edle britische Modehaus Burberry Skandal, weil es 2017 Luxusgüter im Werte von 31 Millionen Euros verbrannt hatte. Da lagen nicht nur nagelneue Trenchcoats in Asche, sondern auch teure Parfums. Frankreich hat nachgezählt: Dort machen die Hygiene- und Schönheitsprodukte jährlich mehr als einen Viertel aller zerstörten, unverkauften Güter aus, wenn man vom Lebensmittelbereiches absieht. Das sind elektrische und elektronische Geräte, Textilien, Schuhe oder Bücher im Wert von insgesamt 630 Millionen Euros.
Dass riesige Berge unverkaufter Kleider auf dem Müll landen, anstatt verteilt, verschenkt, wiederverwendet oder recycelt zu werden, ist seit längerem bekannt. Was die Haushaltgeräte und die Elektronik betrifft, funktioniert die Wiederaufbereitung und gewissenhafte Entsorgung vor allem dann, wenn diese ausgedient haben. Doch das ist nur ein Ansatz der zukünftigen Kreislaufwirtschaft: Sie muss auch die Umverteilung unverkaufter Waren in den Griff bekommen. Frankreich will sich darin profilieren und legt nun „als Weltleader gegen die Verschwendung“ ein Anti-Verschwendungs-Gesetzes vor, das die Vernichtung sämtlicher unverkaufter Waren bis spätestens 2023 verbietet. „Eine unserer Umfragen hat ergeben, dass sich drei Millionen Franzosen grundsätzliche Hygieneprodukte nicht leisten können“, beobachtet Dominque Besançon in Paris. Seit 15 Jahren verteilt die Generalbeauftragte dort in der NGO Dons Solidaires unverkaufte Waren an sozial Benachteiligte. Auf diese Weise kamen 2018 Wohn- und Kinderheime, soziale Läden oder Tagesauffangstellen in den Genuss unverkaufter Sachgüter im Wert von 35 Millionen Euros. Eine solche Drehscheibe existiert auch in Deutschland oder Singapur, fehlt aber in vielen anderen europäischen Ländern. Dabei wäre es relativ einfach, die bei einem sogenannten Relaunching oder Saisonwechsel aus dem Verkehr gezogenen Seifen, Sonnencremes oder Zahnbürsten an Vereinigungen weiterzuleiten. Doch um die Abfallberge zu vermeiden, braucht es auch ein grundsätzliches Umdenken der ganzen Warenkette, von der Planung seitens der Hersteller bis zum Verhalten der Kunden.
Luxusgüter werden nicht verramscht
Denn seien wir ehrlich, die trendig grün beschrifteten Shampooflaschen gefallen uns besser als das frühere Modell. Wollen wir nicht ständig alle Farbtöne der Lippenstifte im Laden zur Auswahl präsentiert haben? Stört es uns nicht, wenn wir unser teures Lieblingsparfum auf der Auslage eines Strassenhändlers entdecken? Das war Burberrys Argument für die Zerstörung der Parfums und Kosmetik im Wert von insgesamt 10 Millionen Pfund Sterling: Seit dem Verkauf der Lizenzrechte der Burberry-Schönheitsprodukte an die amerikanische Firma Coty wurden die unverkauften Parfums, Cremes oder Schminken eingezogen und verbrannt, damit sie nicht gestohlen oder billiger verkauft werden konnten. Es habe sich um eine aussergewöhnliche Vernichtung gehandelt, weil sämtliche Kosmetiklinien neu entwickelt würden, relativierte der britische Modeplayer, der inzwischen versprochen hat, solche Vernichtungen in Zukunft zu vermeiden.
Diese Machenschaften sind vor allem im Luxus skandalös und den Betroffenen peinlich. Um das Hochpreisimage zu erhalten und Parallelmärkte zu vermeiden, werden Luxusgüter nicht verramscht: Zwar in einem anderen Sektor, jedoch aus dem gleichen Grund wird Louis Vuitton die Verbrennung seiner hochqualitativen, aber unverkauften Handtaschen vorgeworfen. Einige der Angestellten des LVMH-Labels sprechen im Internet von Reportingzentralen, die unverkaufte Modelle entweder auf einen anderen Kontinenten oder Richtung Verbrennungsanlage spedierten. Der Luxuslederhersteller hat nie dazu Stellung bezogen und will es auf Anfrage auch heute nicht tun. Ebenso hüllt sich Richemont in Schweigen, was den Rückzug und die Zerstörung seiner Markenuhren im Werte von 400 Millionen betrifft. Befände sich der Schweizer Konzern in Paris, müsste er nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes, seine unverkauften Uhren hundertprozentig recyceln.
Aufwändiges Recycling
Doch der Mainstream steht nicht besser da. Haben wir uns schon einmal gefragt, was bei der Lancierung neuer Linien passiert, wenn ein Anteil der unzähligen Kosmetik- und Hygieneprodukte ausgedieht hat, die wie eine Armee in Reih und Glied in den Rayons der Supermärkte stehen? Im Falle eines Flops einer ganzen Palette? Musterüberschüsse, Fehler, defekte Verpackungen und Verfalldaten sind weitere Gründe, warum Millionen dieser Produkte, neu aber unverkauft, auf dem Müll landen. Gewisse, wie etwa Fond-de-Teint, deren Verfalldatum aus gesundheitlichen Gründen absolut eingehalten werden muss, schliesst auch das zukünftige französische Anti-Verschwendungsgesetz aus. Andere kann man nicht oder nur aufwändig wiederverwerten: Man schafft es zwar heute, Tagescremen oder Masken aus ihren Tiegeln zu lösen, um das Glas oder Plastik separat aufzubereiten. Auch einzelne Inhaltsstoffe können wiedergewonnen werden. Doch da ein soziales Bedürfnis besteht, wäre die Umverteilung sinnvoller.
Etwa Procter & Gamble oder Beiersdorf arbeiten eng mit den wenigen, bestehenden Strukturen zusammen. „Für die pflegende Kosmetik und die Hygiene wie Zahnpasten läuft es gut“, doch die Vermittlung von Schminke sei schwieriger, betont Juliane Kronen in Köln, wo die Gründerin und Geschäftsführerin der Start-Up innatura im grossen Stil Sachspenden für soziale Zwecke vermittelt. Wegen der saisonalen Farbwechsel fallen jedoch gerade im Make-Up-Bereich viele Restposten an. Manchmal profitierten Theatergruppen oder Frauen in Schwierigkeiten davon. Aber schlussendlich gäbe es auch unverkaufte Artikel, ganze Paletten oder einzelne Farbnuancen, die tatsächlich niemand wolle. „Der Mensch verhält sich nicht wie es die Unternehmer planen. Wir werden immer irgendwo Unmengen haben“, meint Kronen fatalistisch. Immerhin entwickelt sich unter den Unternehmern jetzt die Bereitschaft, ihr Business-Modell zu überdenken.
Bild: esther elionore haldimann